Brasilianische Avantgarde bis schwedischer Ur-Blues

Künstler aus 30 Ländern bei Deutschlands größtem Weltmusik-Festival Ob koreanischer Post-Rock, neues Wienerlied oder arabische Klass

Künstler aus 30 Ländern bei Deutschlands größtem Weltmusik-Festival
Ob koreanischer Post-Rock, neues Wienerlied oder arabische Klassik – das Rudolstadt-Festival bietet vom 7. bis 10. Juli wieder eine kaum vergleichbare Vielfalt an Roots-, Folk- und Weltmusik.
Zum Auftakt gleich ein Lob auf die Entschleunigung: Die Liedermacher-Kultkapelle Element of Crime eröffnet das Festival im thüringischen Rudolstadt. Den Schlusspunkt setzt drei Tage später Glen Hansard, der gefeierte irische Sänger, Gitarrist und Oscar-prämierte Songwriter.

Neuer Cumbia-Sound, Straßenparty und Gaiteros
Rund um die Musikszene in Kolumbien dreht sich beim 26. Festival der Länder-Schwerpunkt. Zehn Bands zeigen die kulturellen Kontraste und Traditionen des Landes vom indigenen Erbe bis zu karibischen, afrikanischen und spanischen Einflüssen. Passend dazu ist der Tanz dieses Festivals die Cumbia. Ihre elektronische Variante ging dank Sidestepper rund um die Clubs dieser Welt. Jüngst hat die Band sich neu erfunden und setzt mehr auf Harmonien und Handgemachtes - der Dance-Act dieses Festivals! Für die traditionelle Cumbia mit Akkordeon kommt Carmelo Torres nach Rudolstadt, der zu den besten seines Faches zählt. Als Urgestein unter den Gaiteros gilt Sixto Silgado ‚Paíto‘; der afro-kolumbianische Flötenspieler stammt aus dem Norden des Landes. Zu den Vorreitern eines modernen großstädtischen Stils gehört Profetas. Das Duo kreiert aus Reggae, HipHop, Salsa und Cumbia seinen eigenen Sound. Den schwungvollen Klang einer Straßenkapelle an der Pazifikküste bringt Rancho Aparte mit – Party und Tradition aus der Region Choco. Ein Virtuose an der kolumbianischen Harfe ist Edmar Castañeda. Durch sein brillantes Spiel hat er vor allem in der Jazzszene Furore gemacht und einen völlig neuen Blick auf das Instrument eröffnet.

Nicht nur die Musiker aus Kolumbien spiegeln die vielfältige Kultur des Landes, sondern auch zwei Ausstellungen im Rahmen des Rudolstadt-Festivals. "Häuptling Querubín Queta und weitere Gesichter Kolumbiens" porträtiert das Leben indigener Klans, aber auch den Alltag in den Großstädten. Eine zweite Ausstellung im Gewölbesaal der Heidecksburg widmet sich kolumbianischer Malerei, Grafik und Videokunst.

Jazz meets Folk
Unter den weiteren rund 100 Bands und Solokünstlern ist auch "einer der wichtigsten Musiker auf diesem Planeten". Das hat Miles Davis über den Brasilianer Hermeto Pascoal gesagt. Er wird im Juni 80, aber sein Sound ist zeit- und alterslos. Er steht für fulminanten Avantgarde-Jazz, der brasilianische Traditionen wie Forró oder Bossa Nova raffiniert einwebt. Zu den besten Sitar-Musikerinnen der Welt zählt Anoushka Shankar. Sie wehrt sich gegen alle Klischees rund um das Instrument und nimmt darum gerne auch Stücke mit Rap-Musikern und Techno-Produzenten auf. Herausragende Musiker, die Maßstäbe gesetzt haben, kommen auch aus Skandinavien: Lena Willemark vereint Jazzgesang und volksmusikalisches Erbe; damit wurde sie zu Schwedens Folkstimme Nummer 1. Beim Festival geben sie und die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt ein gemeinsames Konzert. In Dänemark haben Geiger Harald Haugaard und Sängerin Helene Blum den Folk ins 21. Jahrhundert getragen. Sie interpretieren ihn einfühlsam, berührend und immer wieder überraschend.


Nouvelle Chanson und Wienerlied
Nach fünf Jahren Pause ist Keren Ann wieder zurück auf der Bühne. Die Senkrechtstarterin der Nouvelle-Chanson-Bewegung bringt eine Mischung aus Jazz, Blues und Folk mit. Neue deutsche Lieder haben die Sängerin Cäthe bekannt gemacht; die Kritik lobt sie als eigenwillig, frisch und herausfordernd. Nicht nur in Frankreich umjubelt wird Alejandra Ribera. Die in Paris lebende Kanadierin mit argentinisch-schottischen Wurzeln wechselt Sprachen, Tempi, Stimmungen und "singt, als ob sie Rauchringe in die Luft bläst", so ein französischer Journalist. In Großbritannien wiederum könnte Emily Portman Ende April für ihre düsteren Geschichten um Mord und Magie den BBC Award als "Folk Singer of the Year" gewinnen. Ganz anders, aber nicht weniger einprägsam sind die Geschichten von Ernst Molden und seinen Partnern Resetarits / Soyka /Wirth. Ihr neues Wienerlied schärft den Blick für Blues und Seele der österreichischen Hauptstadt.

Mit Hirn, Herz und geballter Faust
Das Line up bereichern natürlich auch verschiedene Acts mit klarem politischen Anliegen: So steht Akua Naru für die weibliche Stimme des Conscious Rap. Afrikanische Rhythmen, Jazz, Blues, Neo-Soul und Spoken Word durchziehen die Beats der in Köln lebenden Musikerin, die aus Connecticut stammt. In Texas sind East Cameron Folkcore zu Hause. Die elf Musiker singen gegen soziale Missstände und Machtmissbrauch und das "mit Hirn, Herz und geballter Faust" (Rolling Stone): Eine donnernde Mischung aus Rock, Folklore, Anti-Folk und Americana. Die Multimedia-Performance Soundscapes of Resistance von DJ Ipek ist von der Protestkultur in Istanbul und Kairo inspiriert.

Noah & RUTH
Von türkischen Regierungskritikern ist es nicht weit zum Thema Flüchtlingspolitik. Hierzu bringt das Festival die Eigenproduktion ARCHE NOAH reloaded auf die Bühne, ein aberwitziges Sommermärchen aus viel Musik und Tanz.
Ausgangspunkt ist die Idee der Arche Noah, die übers Mittelmeer schippert und Flüchtlinge aufnimmt. Die beteiligten Musiker kommen aus Syrien, Burkina Faso und der Slowakei. Regie führt Petra Paschinger, die musikalische Leitung übernimmt Matthias Schriefl. Der Trompeter hat in den vergangenen Jahren die alpine Blechszene mächtig durchgeschüttelt und wird dafür in Rudolstadt mit dem Weltmusikpreis RUTH geehrt. Weitere Auszeichnungen gehen an den Liedermacher, Folk- und Rockmusiker Stoppok, das multiethnische Royal Street Orchestra aus Wuppertal und an den Spielkurs für Dudelsack und Drehleier, mit dem Andrea Hotzko sowie international renommierte Musiker Generationen von Schülern die Borduntöne beigebracht haben.

Aufregende Entdeckungen
Aus Göteborg kommt eine Band, die für viele Besucher zu den überraschenden Entdeckungen gehören könnte: Wildbirds & Peacedrums suchen mit reduzierten, eindringlichen Klängen und mächtigen Trommeln den Ur-Blues, das Spirituelle in der (Pop-)Musik. Beeindruckende Auftritte versprechen auch Künstler aus der Ukraine, aus Korea, der Schweiz und dem Kongo. So die Dakh Daughters, eine schräge, außergewöhnliche Frauen-Musik-Theatertruppe aus Kiew. Jambinai bewegt sich zwischen meditativer Ruhe und wilden Soundstürmen. Jenseits aller K-Pop-Klischees mixt die Band Rock und Punk mit traditionellen Klängen. Hornroh wiederum erweitert die Hörgewohnheiten durch die hohe Kunst des Alphornspiels. Seltene Einblicke in eine vergehende Welt gewähren die Frauen und Männer von Ndima: Ihr Programm spiegelt die reiche Kultur der Aka-Pygmäen.

Quelle: rudolstadt-festival, miriam rossius