Die politischen Verhältnisse in Rudolstadt nach dem Ersten Weltkrieg

Mit dem militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reiches am Ende des Ersten Weltkrieges setzte in ganz Deutschland eine Entwicklung ein, die in der relativ kurzen Zeit von wenigen Wochen und Monaten den Umbau des gesamten gesellschaftlichen Systems zur Folge hatte.

Die Bevölkerung war kriegsmüde und überrascht über die wahre Lage an den Fronten, die nach und nach durchsickerte. Überall im Deutschen Reich brodelte es. Den Auftakt für die großen politischen Umwälzungen gaben die Marinesoldaten in Kiel und Wilhelmshaven, als sie sich am 5. November 1918 weigerten, mit der Kriegsflotte England anzugreifen. Diese Weigerung war das Signal für die Ereignisse, die sich dann, ausgehend von den Städten an der Nordsee, im ganzen Deutschen Reich sehr schnell ausbreiteten. Überall bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die in den Städten und Gemeinden die Macht übernahmen.

Am 9. November dankte Wilhelm II. ab und Philipp Scheidemann rief die Republik aus. Am 11. November 1918 war der Erste Weltkrieg zu Ende.

Auch Rudolstadt war von den damaligen Geschehnissen unmittelbar betroffen. Hier wurde am 10. November 1918 ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, dem sich nach Verhandlungen im Rathaus und in der Kaserne (am heutigen Bayreuther Platz) die Zivil- und Militärbehörden Rudolstadts offensichtlich widerstandslos unterstellten. Während einer Volksversammlung auf dem Marktplatz am Nachmittag des 10. November wurde die Bildung des Arbeiter- und Soldatenrates den Rudolstädtern öffentlich bekannt gegeben.

Alle städtischen Angestellten und Beamten sowie die Angehörigen des fürstlichen Ministeriums behielten damals ihre Funktionen. Sie hatten sich aber den Weisungen des Arbeiter- und Soldatenrates zu fügen. Die Zusammenarbeit der Behörden mit dem Arbeiter- und Soldatenrat gestaltete sich in Rudolstadt aber offensichtlich problemlos. Die Vertreter dieses Gremiums nahmen an allen öffentlichen und nichtöffentlichen Sitzungen des Stadtrats und des Landtags teil und versuchten, für Ruhe und Ordnung im öffentlichen Leben zu sorgen.

Es war ein historischer Augenblick, als der Staatsminister Freiherr von der Recke am 15. November 1918 zu Beginn einer außerordentlichen Sitzung des Schwarzburg-Rudolstädtischen Landtags die Bereitschaft des Fürsten verkündete, alle seine Ämter niederzulegen und den Weg für einen demokratischen Volksstaat freizumachen, sobald die notwendigen Übergangsgesetze erlassen sind.

Diese Übergangsgesetze wurden vom Landtag bereits am 21. November erlassen. Am 23. November 1918 dankte der Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt ab. Die Regierungsgeschäfte, die bis dahin beim Fürsten lagen, wurden dem Schwarzburg-Rudolstädtischen Landtag übertragen. Bemerkenswert ist, dass sich der Regierungsübergang in Schwarzburg-Rudolstadt vollkommen friedlich und geordnet vollzogen hat.

Eine wichtige und wesentliche Voraussetzung für die weitere gesellschaftliche Umgestaltung war die Änderung des bestehenden Wahlrechts. Der Schwarzburg-Rudolstädtische Landtag beschloss deshalb in seiner Sitzung am 5. Dezember 1918 ein neues Landtagswahlgesetz. Wahlberechtigt waren danach alle Bürger beiderlei Geschlechts ab einem Lebensalter von 20 Jahren, die seit mindestens 6 Monaten in der jeweiligen Stadt oder Gemeinde ihren Wohnsitz hatten. Neu daran war, das erstmals Frauen an den Wahlen teilnehmen durften. Damit war das allgemeine Wahlrecht für Frauen eingeführt. Praktisch gesehen hatte das eine Verdoppelung der Wählerschaft zur Folge.

Die weiteren Ereignisse überschlugen sich dann fast. Am 19. Februar 1919 fand die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung statt. Einen Monat später, am 16. März, war ein neuer Landtag für Schwarzburg-Rudolstadt zu wählen.

Mit dem Abdanken des Fürsten war auch für Stadtrat und Stadtverwaltung eine völlig neue Situation entstanden. Durch Übergangsgesetze war geregelt, dass der bisherige Bürgermeister und der Stadtrat bis zur Wahl eines neuen Stadtrates weiterhin die Amtsgeschäfte wahrnehmen konnten.

Am 28. Februar 1919 hatte der Landtag ein neues Gemeindewahlrecht beschlossen und festgelegt, dass Gemeinde- und Stadtratswahlen am 25. Mai 1919 stattfinden. Damals waren 18 Stadtratsmitglieder für eine Amtszeit von 6 Jahren zu wählen. Für den Beginn der Amtszeit des neuen Stadtrats wurde der 1. Juli 1919 festgelegt. Allerdings gab es eine Besonderheit. Nach 3 Jahren sollte die Hälfte der Stadträte ihr Amt bereits wieder verlieren. Die ausscheidenden Stadtratsmitglieder waren auszulosen.

Zusammensetzung des Stadtrats nach der Wahl am 25. Mai 1919

Mehrheitssozialisten: 5
Unabhängige Sozialisten: 3
Bürgerliche Sonderliste: 2
Vereinte Bürgerliche Liste: 8

Durch diese Wahl war Gertrud Graf, eine Lehrerin des Lyzeums - und damit erstmals eine Frau, in den Stadtrat gewählt worden.
Die Geschichte nahm ihren Fortgang. Am 1. Mai 1920 erfolgte die Gründung des Landes Thüringen. Am 11. März 1921 wurde die erste Thüringer Verfassung vom Landtag verabschiedet und am 20. Juli 1922 wurde für Thüringen eine neue Gemeinde- und Kreisordnung erlassen. In deren Folge gab es am 10. September 1922 wieder eine Stadtratswahl.

Zusammensetzung des Stadtrats nach der Wahl am 10. September 1922 (19 Sitze gesamt)

Sozialisten (SPD und USPD): 4
Kommunisten (KPD): 4
Bürgerlich-wirtschaftliche Einheitsliste: 11

Mit Wirkung vom 1. Oktober 1922 wird Rudolstadt Kreisstadt. Am 1. April 1923 erfolgte die Eingemeindung von Cumbach und Volkstedt. Rudolstadt hatte damit 15.711 Einwohner. Die nächste Stadtratswahl fand dann am 22. Februar 1925 statt. Es waren wegen der gestiegenen Einwohnerzahlen infolge der Eingemeindungen nun 25 Sitze zu vergeben.

Zusammensetzung des Stadtrats nach der Wahl am 22. Februar 1925

Sozialdemokratische Partei (SPD): 7
Kommunisten (KPD): 4
Völkische Liste: 1
Deutschnationale Volkspartei: 3
Bürgerlich-wirtschaftliche Einheitsliste: 10

Am 8. Juli 1926 gab es wieder eine neue Gemeinde- und Landkreisordnung. Die Amtszeit des Stadtrats wird ab der Wahlperiode, die 1928 begann, von 3 Jahren auf 4 Jahre verlängert.

Zusammensetzung des Stadtrats nach der Wahl am 2. Dezember 1928 (25 Sitze gesamt)

Sozialdemokratische Partei (SPD): 6
Kommunisten (KPD): 4
Nationalsozialisten (NSDAP): 1
Bürgerliche Gemeinschaft: 3
Beamte: 1
Volksrechtspartei: 2
Bürgerbund: 3
Allgemeinwohl: 5

Zusammensetzung des Stadtrats nach der Wahl am 4. Dezember 1932 (19 Sitze gesamt)

Sozialdemokratische Partei (SPD): 4
Kommunisten (KPD): 4
Nationalsozialisten (NSDAP): 4
Döhler: 1
Gerhold-Hickethier: 2
Dr. Henkel: 1
Schneider: 1
Fliegerbauer: 2

Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, die darauffolgenden Notverordnungen vom Februar 1933 und das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 führten zur Auflösung des Rechtsstaates und zum Aufbau der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus. Dadurch wurden die in der Weimarer Republik geschaffenen Selbstverwaltungsorgane der Gemeinden und Kreise faktisch ausgelöscht. Von 1933 bis 1945 wurden keine Stadtratswahlen mehr durchgeführt, sondern es wurden nach der 1935 erlassenen Deutschen Gemeindeordnung Ratsherren eingesetzt.