Im April 2025 jährt sich die Bombardierung von Volkstedt zum 80. Mal. Am 10. April 1945 wurde der kleine Ortsteil der Stadt Rudolstadt durch einen alliierten Luftangriff schwer getroffen. Es handelte sich um den verheerendsten Bombenangriff, den der Raum Rudolstadt im ganzen Zweiten Weltkrieg erlebte. Dutzende Einwohner kamen ums Leben, und das Ortsbild wurde für immer verändert. Dieser Bericht beleuchtet das historische Umfeld, den Ablauf des Geschehens, die unmittelbaren Folgen sowie die Art und Weise, wie an das Ereignis bis heute erinnert wird.
Historischer Kontext
Im Frühjahr 1945 befand sich der Zweite Weltkrieg in seinen letzten Zügen. Die alliierten Streitkräfte hatten bereits weite Teile Deutschlands eingenommen und rückten nun ins Thüringer Kernland vor. Seit Anfang 1945 war auch Thüringen verstärkt ins Visier alliierter Bomber geraten. In den Monaten zuvor hatten britische und US-amerikanische Luftflotten bereits verheerende Angriffe auf nahegelegene Städte geflogen – etwa auf Weimar und Jena im Februar sowie wiederholt auf Jena und Gera im März. Diese Angriffe zielten darauf ab, Verkehrswege, Industrie und militärische Einrichtungen zu zerstören, um den Vormarsch der Bodentruppen zu unterstützen.
Auch im Raum Rudolstadt spitzte sich die Lage im April 1945 zu. Obwohl die örtlichen NS-Verantwortlichen beschlossen hatten, Rudolstadt nicht zur „Festung“ zu erklären und größere Kämpfe von der Stadt fernzuhalten, rückte die Front unaufhaltsam näher. In der Region wurden Volkssturmeinheiten – meist ältere Männer und Hitlerjugendliche – in Stellung gebracht, um eine letzte Verteidigung zu organisieren. Am 11. April erreichten Vorhuten der 3. US-Armee die Saale bei Jena; am 12. April wurden bereits Städte wie Apolda, Erfurt und Weimar kampflos an die Amerikaner übergeben. Nur einen Tag später, am 13. April 1945, besetzten US-Truppen schließlich auch Rudolstadt und das Umland. Zu diesem Zeitpunkt lag Volkstedt jedoch bereits in Trümmern – zerstört durch einen Luftangriff, der nur wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner erfolgt war.
Der Luftangriff vom 10. April 1945
Am 10. April 1945 gegen 14:48 Uhr griffen US-amerikanische Bomberverbände überraschend Volkstedt an. Ohne Vorwarnung fielen die Bomben bei helllichtem Tage – für die Einwohner buchstäblich „auf den Mittagstisch“, wie ein Zeitzeuge es später formulierte. Allerdings soll den Bomben ein Fliegeralarm vorausgegangen sein. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich der Ort in ein Inferno aus Feuer, Rauch und einstürzenden Gebäuden. Der Angriff dauerte nur kurze Zeit, richtete aber verheerende Schäden an. Viele Menschen wurden unter den Trümmern ihrer Häuser begraben oder von den Detonationen auf offener Straße überrascht. Insgesamt verloren an diesem Nachmittag 32 bis 36 Bewohner (die Quellen gehen hier auseinander) – Männer, Frauen und Kinder – ihr Leben. Zahlreiche weitere wurden verletzt, oft schwer. Die Überlebenden standen unter Schock und versuchten, sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen, während um sie herum Gebäude brannten und Rauch die Sonne verdunkelte.
Unmittelbar nach dem Abwurf der Bomben spielten sich chaotische Szenen ab. In mehreren Straßenzügen brachen Großfeuer aus, die sich rasch ausbreiteten. Alle verfügbaren Löschkräfte der Umgebung wurden alarmiert: Feuerwehren aus Rudolstadt und den Nachbarorten eilten nach Volkstedt, darunter auch eine improvisierte Frauen-Feuerwehr aus dem benachbarten Kirchhasel. Die Brandbekämpfung gestaltete sich äußerst schwierig – dichte Rauchschwaden hingen über dem Ort, und durch Schäden an den Leitungen herrschte akuter Wassermangel. Erschwerend kam hinzu, dass viele örtliche Männer, die als Helfer hätten dienen können, nicht vor Ort waren: Sie standen als Volkssturm in einiger Entfernung „auf den Bergen jenseits der Saale“ im Einsatz und konnten ihren brennenden Heimatort nicht verteidigen. Trotz aller Gefahr leisteten die zurückgebliebenen Frauen, Jugendlichen und älteren Männer heldenhaften Einsatz, um das Schlimmste zu verhindern. Ihre Möglichkeiten waren jedoch begrenzt – zu groß waren die Zerstörungen, die der Bombenangriff in wenigen Minuten angerichtet hatte.
Zerstörung und Verluste
Die materiellen Verluste in Volkstedt waren immens. Ganze Straßenzüge lagen in Schutt und Asche. Von 89 Wohnhäusern blieb nichts als Ruinen – sie wurden vollständig zerstört. Weitere 52 Häuser wurden durch Druckwellen und Splitter schwer beschädigt und waren einsturzgefährdet. Hunderte Bewohner verloren innerhalb eines Augenblicks ihr Dach über dem Kopf: 310 Familien waren nach dem Angriff obdachlos und mussten notdürftig in Kellern, bei Nachbarn oder in öffentlichen Gebäuden unterkommen.
Besonders einschneidend war der Verlust bedeutender öffentlicher und historischer Bauten. Die evangelische Dorfkirche Volkstedt, ein im 12. Jahrhundert erbautes Gotteshaus, wurde von den Bomben völlig zertrümmert und bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Der einst malerische Kirchturm stürzte ein, und vom Kirchenschiff blieben nach dem Feuer nur schwarz verkohlte Reste stehen. Auch das benachbarte Pfarrhaus, in dem einst (1788/89) der Dichter Friedrich Schiller zeitweilig gewohnt hatte, ging in Flammen auf. Damit verlor Volkstedt nicht nur ein religiöses Zentrum, sondern auch ein kulturelles Denkmal aus seiner Geschichte. Zudem traf der Angriff die wirtschaftliche Substanz des Ortes schwer: Fünf Porzellanfabriken – für die Volkstedt über Thüringen hinaus bekannt war – wurden durch Spreng- und Brandbomben zerstört. Darunter befand sich auch die renommierte Manufaktur Müller-Volkstedt, bekannt für ihre filigranen Spitzen-Porzellanfiguren, sowie weitere traditionsreiche Betriebe der Porzellanherstellung. Mit einem Schlag lagen diese kleinen Industrien brach.
In den Tagen nach der Bombardierung herrschten in Volkstedt Trauer und Chaos. Überall ragten rauchende Trümmer in den Himmel, und der Geruch von Brand und Zerstörung lag in der Luft. Verwandte und Nachbarn suchten verzweifelt nach Vermissten. Auf dem provisorisch eingerichteten Dorfplatz wurden die Toten aufgebahrt, ehe man sie unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beerdigte. Gleichzeitig begann die schwierige Aufräumarbeit: Trümmer mussten beiseite geräumt werden, um Wege freizumachen und mögliche Verschüttete zu retten. Löschtrupps waren noch bis in die Nachtstunden mit dem Eindämmen verbliebener Brände beschäftigt. Für die überlebenden Volkstedter war es eine Zeit unsäglichen Leids – sie hatten innerhalb weniger Minuten (der Angriff dauerte insgesamt ca. 50 Minuten) Familienmitglieder, Freunde, ihr Zuhause und ihr vertrautes Ortsbild verloren.
Nachwirkungen und Wiederaufbau
Trotz der unvorstellbaren Zerstörung keimte schon bald nach dem Inferno die Hoffnung auf einen Neuanfang. Nachdem am 13. April 1945 die amerikanischen Bodentruppen in Volkstedt und Rudolstadt eingerückt waren und die Kämpfe in der Region endeten, standen Überleben und Wiederaufbau im Vordergrund. Die alliierten Besatzungsbehörden sowie lokale Helfer organisierten notdürftige Unterkünfte, Lebensmittel und medizinische Versorgung für die obdachlos gewordenen Familien. In den ersten Nachkriegswochen herrschte zwar Mangel und Not, doch der Zusammenhalt in der Gemeinde war groß. Gemeinsam packten die Menschen an, um Trümmer zu räumen und das Wichtigste aufzubauen. Bereits im Mai 1945 konnte auf der nahen Saalebahn der Zugverkehr mit improvisierten Mitteln wieder aufgenommen werden, was für Versorgung und Aufbau entscheidend war.
In den folgenden Jahren gelang es Schritt für Schritt, Volkstedt wieder lebenswert zu machen. Der Wiederaufbau der Wohnhäuser hatte oberste Priorität: Bis Ende der 1940er Jahre entstanden anstelle der Trümmer grundlegend renovierte oder neu errichtete Wohngebäude, sodass die meisten Familien wieder eigene vier Wände beziehen konnten. Auch die Porzellanindustrie erwachte zu neuem Leben. Bereits 1947 nahm die Müller-Volkstedt-Manufaktur – deren Gießformen im Keller die Bombennacht überraschend unbeschadet überstanden hatten – die Produktion von Porzellanfiguren wieder auf. Unter teils abenteuerlichen Bedingungen (es mangelte an Material, und die sowjetische Besatzungsmacht bereitete weitere Umbrüche vor) hielten die Eigentümer den Betrieb aufrecht. Ähnlich erging es anderen Porzellanwerkstätten: Trotz Kriegsschäden führten engagierte Fachleute die Tradition des „Weißen Goldes von Thüringen“ fort, wenn auch in bescheidenem Umfang. Allerdings blieb die wirtschaftliche Lage schwierig, und mit der Verstaatlichung in der DDR Anfang der 1950er Jahre endete für einige der alten Familienbetriebe die Selbstständigkeit – manche evakuierten ihre Kenntnisse und Firmenschätze in den Westen.
Ein symbolträchtiges Zeichen des Neuanfangs war der Wiederaufbau der Dorfkirche. Trotz knapper Mittel und der Entbehrungen der Nachkriegszeit machten sich die Volkstedter daran, ihr Gotteshaus wiederzuerrichten – als Ort des Glaubens und des Zusammenhalts. Bereits 1949/50 wurde das Kirchenschiff in vereinfachter Form neu aufgebaut, zunächst ohne Turm. Wenige Jahre später erhielt die Kirche auch wieder einen Turm, wenn auch in schlichter Gestaltung statt der vormaligen barocken Haube. Die Weihe der wiedererrichteten Kirche galt als wichtiges Signal: Sie zeigte den Menschen, dass aus den Ruinen neues Leben erwachsen konnte. So wurde Volkstedt in den 1950er Jahren allmählich wieder ein vertrauter Ort – anders als zuvor, aber mit dem festen Willen der Bürgerschaft, das Erlittene zu überwinden. Dennoch blieben die Narben der Vergangenheit spürbar. Viele Familien trauerten um verlorene Angehörige, und die Erlebnisse des 10. April 1945 prägten eine ganze Generation von Volkstedtern nachhaltig.
Erinnerung und Gedenken bis heute
Auch nach Jahrzehnten ist die Bombardierung von Volkstedt vom 10. April 1945 im kollektiven Gedächtnis der lokalen Bevölkerung verankert. In der Nachkriegszeit wurde das Gedenken zunächst im kleinen Rahmen gepflegt – Familien erinnerten im Stillen an ihre Opfer, und in der Kirche wurde in Fürbitten der Verstorbenen gedacht. Mit der Zeit entstanden jedoch auch öffentliche Formen des Erinnerns. An der Westfassade der wiederaufgebauten Kirche wurde eine schlichte Gedenktafel aus Stein eingelassen, die die historischen Eckdaten des Gotteshauses festhält. In knappen Worten ist dort zu lesen: „Erbaut im 12. Jahrhundert. Umgebaut 1739. Erneuert 1938. Abgebrannt 10.4.1945. Neuerbaut 1949/50.“ – ein knapper, aber bedeutungsvoller Hinweis auf die Zerstörung und den Neubeginn. Diese Tafel ist bewusst zurückhaltend gestaltet und hoch oben angebracht, sodass man ihrer gedenken muss, um sie zu entdecken – ein Sinnbild dafür, dass die Vergangenheit zwar präsent, aber nicht aufdringlich ist.
In Volkstedt und Rudolstadt wird das Gedenken an den 10. April 1945 insbesondere zu runden Jahrestagen in würdiger Form begangen. Zum 50. und 75. Jahrestag fanden Gedenkveranstaltungen statt, bei denen Zeitzeugen zu Wort kamen und der Opfer gedacht wurde. 2020 – 75 Jahre nach der Bombardierung – veröffentlichte die lokale Presse die Erinnerungen des damals 15-jährigen Zeitzeugen Siegfried Geigenmüller, der den Angriff überlebt hatte. Er schilderte eindringlich, wie er den Tag erlebte, und bewahrte so die Erfahrungen seiner Generation vor dem Vergessen. Auch in den Rudolstädter Heimatheften wurden Augenzeugenberichte und Forschungen zu Kriegsereignissen veröffentlicht. So erschienen 2021 die Aufzeichnungen Geigenmüllers posthum in dieser Schriftenreihe. Solche Beiträge halten die Erinnerung lebendig und machen das Geschehene auch der jungen Generation zugänglich.