Steffen Mensching und Anne Kies lesen aus „Die Unbeugsamen - Briefwechsel aus Gefängnis und KZ“ in der Rudolstädter Stadtbibliothek. Foto: Michael Wirkner

„Die Unbeugsamen - Briefwechsel aus Gefängnis und KZ“ ist im Wallstein-Verlag erschienen.

Die Unbeugsamen

Gefühlvolle Lesung eines Briefwechsels zwischen den Welten

Gefühlvolle Lesung eines Briefwechsels zwischen den Welten

Als die Deutsche Olga Benario im Auftrag der Kommunistischen Internationale den Brasilianer Luiz Carlos Prestes, der die Leitung eines sich vorbereitenden Aufstandes der Aliança Nacional Libertadora (ANL) gegen die autokratische Regierung von Getúlio Vargas übernehmen sollte,  als Leibwächterin begleiten sollte, wusste Olga Benario nicht, wie sehr sich ihr Leben ändern würde. Zunächst als portugiesisches Ehepaar in den Flitterwochen unterwegs, entstand schon bald eine echte Beziehung tiefer Liebe zwischen den beiden.
Der Aufstand gegen Vargas schlug fehl, Prestes wurde verhaftet und die schwangere Benario nach Deutschland ausgeliefert, wo sie in das Frauengefängnis Barnimstraße kam und ihre Tochter Anita Leocádia Prestes auf die Welt brachte.

An dieser Stelle begann die Lesung von Anne Kies und Steffen Mensching am Donnerstagabend in der Stadtbibliothek Rudolstadt im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Jüdische Kulturtage in Rudolstadt“. Sie lasen aus dem Briefwechsel von Benario und Prestes, die noch Jahre nach ihrer Verhaftung Briefe austauschten. Mensching begann den Abend mit den Worten: „Es wird ein ernster Abend in nicht gerade heiteren Zeiten.“ Denn eines war von Anfang an klar, für Olga Benario wird die Geschichte nicht gut enden. Ihre Briefe aus der Barnimstraße gingen in die Isolationszelle nach Rio. In ihnen berichtete Olga Benario ihrem Mann von der gemeinsamen Tochter. Wie sie das Baby badet, mit ihr spielt oder über die Erfahrungen mit den ersten Zähnchen. Mit einem 4-blättrigen Kleeblatt und den Worten „Glück können wir wahrlich brauchen“ sendet sie Hoffnung. Doch Olgas Hauptanliegen bleibt die Beschreibung der gemeinsamen Tochter, die sich Vater Carlos Prestes nur durch ihre Beschreibungen vorstellen konnte. Mit liebevollen Worten beschrieb sie jede Geste, jede Kleinigkeit, die Anita lernte – und wie sie plötzlich immerzu „Papa“ sagte. Bald machte sich Angst breit in den Briefen Olgas, ihren Mann nie wieder sehen zu können und Anita zu verlieren, sobald sie das Kind abgestillt hat. Ihre Angst wird sich bewahrheiten. Das Kind wurde ihr weggenommen. Anita kam zur Oma nach Brasilien, später gingen beide ins Exil nach Mexiko. Benario durchlief mehrere Konzentrationslager, bis sie 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg in der Gaskammer ermordet wurde. Luiz Carlos Prestes kam nach 9 Jahren Isolationshaft frei. Die gemeinsame Tochter Anita lebt heute in Brasilien.

Gebannt hingen die Zuhörenden an den Lippen von Kies, die die Briefe von Olga vorlas und Mensching, die Antwortbriefe von Carlos. Ein Abend des Gefühlswirrwarrs zwischen Freude wegen der liebevollen Beschreibung der Tochter und der gefühlvollen Worte der Zuneigung zwischen den Liebenden, aber auch der Angst vor dem Unvermeidlichen und dem Ausgesetztsein von Hilflosigkeit. Aber vor allem ein Abend der sich gelohnt hat, die Geschichte von Benario und Prestes kennenzulernen.

Das Buch „Die Unbeugsamen – Briefwechsel aus Gefängnis und KZ“ ist im Wallstein-Verlag erschienen. Eine digitale Lesung von Kies und Mensching ist auf YouTube zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=7XQI7olwtxc

Michael Wirkner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit